Die Brennerbande, Teil 88


"Is' ganz schon langweilig."
"Find ich nicht." Nachdem er den Schraubenschlüssel in die Hand genommen hatte, war Gunnar innerhalb eines Herzschlags dreckiger gewesen als die Tage voller Schlägereien, hin-und-her Gerenne und Explosionen. Tiscio, der erst seitdem er bei Vilet wohnte, begriffen hatte, dass man auch sauber sein konnte, zierte sich, an der öligen Maschine zu arbeiten.
"Außerdem glaub ich immer noch nich', dass das fährt." Er deutete auf das Gestell aus Metallrohren, Kolben, Tank und Stangen. Man konnte ahnen, dass an der einen Stelle einst ein Sitz befestigt werden würde, wie an einem Drahtesel, aber Tiscio wusste nicht, wer so verrückt sein würde, diese Maschine zwischen die Beine zu nehmen.
Mit Ausnahme Gunnars natürlich.
"Ich ... krieg ... das ... schon ... hin", stieß Gunnar hervor, während er an dem Schraubenschlüssel zog.
Und so verging der Abend. Gunnar ging in seiner Arbeit auf und Tiscio reichte ihm das eine oder andere Werkzeug. Und nachdem sich der Ältere endlich in seine Rolle gefügt hatte, lernte er tatsächlich etwas über Dampfmaschinen, oder wenigstens etwas über das Zusammensetzen von Röhren.

Die letzten Tage hatten ihnen ein gutes aber sparsames Frühstück eingebracht. Gunnars Mutter hingegen tischte ihnen reichlich auf, vermutlich, weil sie ihren Sohn ein paar Tage nicht gesehen hatte. Dementsprechend war sie auch nicht begeistert, dass die beiden gleich wieder das Haus verließen, nachdem sie aufgegessen hatten.

Tiscio hatte vorgeschlagen, auf dem Weg zurück in die Konditorgasse noch ein wenig im Hafen nachzuforschen. Vermutlich hatten die Hafenbertis und auch Unterschnitt schon alles abgesucht, aber ihre Theorie zu den Motiven hinter den Anschlägen ließ sie vielleicht einiges anders wahrnehmen.
Als erstes sahen sie nach der Herta, aber das Schiff - oder war es ein Boot? Wer wusste das schon? - hatte bereits den Hafen verlassen. Aber sie hätten sowieso nicht gewusst, was sie den Kapitän hätten fragen können, außer die Fragen, die sie jetzt auch anderen stellen konnten.
"Was ich gesehen habe? Bin aus der Kneipe raus, als es gerumst hat. Dann der ganze Brand." So oder ähnlich antworteten die meisten. Zusätzlich gab es noch Variationen von:
"Man sollte alle Separatisten hinrichten!"
"Man sollte alle Banden hinrichten!"
und
"Man sollte alle Druiden hinrichten!"

Als sie erneut die Druiden als die Schuldigen angeboten bekamen, hätte Tiscio dem Mann beinahe an den Kopf geworfen, dass die Druiden nun wirklich keinen Grund hatten, die einfachen Leute umzubringen. Als Fabrikarbeiter hatte er beständig in der Angst vor ihren Anschlägen gelebt, aber nur so lange wie er sich auf dem Fabrikgelände aufgehalten hatte. Die Druiden bekämpften die Umweltverschmutzung und gleichgültig für wie verrückt man sie halten mochte, so konnte man sich doch darauf verlassen, dass sie nicht einfach blind herumbombten.
Was den Feldstraßlern jedoch in diesem Fall auch nicht weiter half. Dass verschiedene Matrosen versuchten, sie anzuheuern, ließ sie am Ende allerdings vorsichtiger vorgehen und mit den Befragungen aufhören. Stattdessen begannen sie den Platz des Anschlags zu untersuchen.
Die Lagerhalle war vollkommen niedergebrannt. Wie sie inzwischen von einem der Befragten erfahren hatten, waren dort ausschließlich Stoffe eingelagert gewesen. Sie hatten vermutlich hervorragendes Brennmaterial geliefert.
Die Gebäude zur Linken der Halle waren ebenfalls zerstört, wenn auch von ihnen mehr stehen geblieben war. Man konnte bei dem vorderen noch erahnen, dass es einmal eine Kneipe gewesen war. Die Rückwand hatte es sich mit der Hafenwache geteilt, dessen Außenwände in weiten Teilen so stark beschädigt waren, dass die Räume ungeschützt dem Wetter ausgesetzt waren.
Die beiden Jungs liefen durch die erkaltete Asche am Rand der Halle.
"Was meinste, wo die Bombe war?"
"Schwer zu sagen." Gunnar blickte sich um. "Siehst du irgendwo einen Krater?"
"Ne, aber da auf dem Weg zwischen Halle und Kneipe ist es schwärzer."
Gunnars Blick folgte Tiscios zeigendem Finger. Er ging zu der Stelle und schritt sie ab. Tis tat es ihm gleich.
"Das könnte es sein." Er sah sich noch einmal um. "Weißt du, was das bedeutet?"
"Das die Bombe hier war?"
"Genau. Auf dieser Seite. Auf der Seite der Kneipe."
"Das ist der Beweis!"
"Nein, leider nicht. Nur ein Hinweis."
"Wieso nicht? Der Mützenmann hat die Bombe so gelegt, dass die Kneipe hochgehen musste."
"Denk ich ja auch, aber er hat sie trotzdem an die Lagerhalle gelegt. Könnte ja Zufall sein."
"Glaubste das?"
"Nicht wirklich."
Gunnar kramte in seiner Jacke und holte einen kleinen Beutel hervor. Er kratzte etwas von der verbrannten Erde auf, in der Hoffnung, später etwas darüber herausfinden zu können. Seine Leidenschaft war zwar Dampf und Mechanik, auch war anzunehmen, dass die Hafenwacht und vielleicht sogar Unterschnitt bereits Proben genommen hatten, aber man wusste ja nie, ob ma nicht irgendwo ein paar Reagenzgläser und Kolben fand, mit deren Hilfe man ein wenig herumanalysieren konnte.
Als er aufstand blickte er sich um und fragt unvermittelt: "Sag mal Tiscio, warum macht man eigentlich einen Vertrag mit einem Dämon?"
Tiscio blickte ihn erstaunt an, zog aber schließlich die Schultern hoch. "Was weiß ich? Geld?"
"Würdest du das machen?"
"Nö, nich mehr, aber wegen mein‘s Vater war ich mal am überlegen." Sie machten sich auf den Weg in Richtung der Konditorgasse.
"Und du wolltest Geld?"
"Warum auch nich'? Hät ich einfach weggehn könn'."
"Und was hat dich abgehalten?"
"Och, Freund von'm Freund hat da mal was erzählt. Und das is' alles nich' so schön."
"Was hat er den erzählt?"
"Warste mal in den Schlachthallen?"
"Nur einmal. Muss ich nicht noch einmal hin."
"Genau. Und das hat der beschrieben. Ich mein, sowas passiert einem dann."
Gunnar schien sich auszumalen, was Tiscio zu sagen versuchte und verzog angewidert das Gesicht.
"Und selbst? Mal drüber nachgedacht?"
"Nein, wo wäre der Spaß? Ich will was erfinden, da kann mir ein Dämon auch nicht bei helfen."
"Wir sollt‘n bald wieder in die Schule. Noch mal alles über [Dämonen] nachfragen."
"DU willst freiwillig zur Schule?"
"Nur zum fragen!"
"Vorher sollten wir aber noch mit Soldrang sprechen. Ich denke, er kann uns tatsächlich mehr erzählen als die Lehrer."
"Stimmt. Was der Buttlertyp gesagt hat, war ja was ganz andres."
"Außerdem würde ich gerne wissen, was die [Dämonen] eigentlich mit der Seele machen?"
"Foltern und Quälen."
"Ach ja. Du hast Recht. Erinnere mich. Unser neuer Pastor erzählt nicht mehr so oft von den Strafen, wie der alte."
"Ihr glücklichen. Unserer erzählt nichts anderes."
"Meinst du, dass die die Seelen nur zum Foltern haben wollen?"
"Vielleicht macht's ihnen Spaß?"
"Trotzdem irgendwie unstimmig, oder?"
"Ich weiß es doch auch nicht. Willste einen fragen?"
Bevor Gunnar noch antworten konnte, klopfte Tiscio an der Tür zur Konditorgasse 23a.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04