Die Brennerbande, Teil 82


"Meint ihr, Rotmütze hat die Bombe gelegt?"
"Wieso?"
"Na, wegen Walde halt."
"Es kann doch nich' sein, dass wir immer von Walde durch die Gegend geschickt werden."
"Ohne sie wüssten wir noch nich' mal was mit Vilet is', Tiscio."
"Hast ja Recht. Trotzdem!"
"Wollt ihr euch jetzt streiten, oder wollen wir dem Mützenmann folgen?"
"Folgen, natürlich."

Kurze Zeit später standen sie vor dem Eingang zum Hai. Sie konnten dort jedoch nicht lange stehen bleiben, denn beständig kamen raue Kerle heraus oder betraten das Etablissement. Diese waren nicht vorsichtig auf ihrem Weg und mehr als einmal wurde einer der Jungs angerempelt.
"Ich geh' mal rein", sagte Malandro und war in der Bar verschwunden, bevor noch einer der anderen etwas sagen konnte. Sie starrten ihm mit einem mulmigen Gefühl hinterher. Bars waren kein Neuland für die Feldstraßler, aber diejenigen, die sie normalerweise aufsuchten waren auf ihrem Gebiet und selbst wenn dort einige unangenehme Säufer lebten, so waren die Hafenarbeiter und Seeleute doch etwas anderes. Für Gunnar galt allerdings, dass er bisher noch gar keine Bar aufgesucht hatte. Für ihn war dieser Ort einfach genauso anstößig und gefährlich, wie die meisten anderen, zu denen ihn seine Freunde in den letzten Monaten gezerrt hatten.
"Sollen wir mal das Feuer ansehen?"
Sie blickten sich an. Walter zog einmal die Schultern hoch und Gunnar und er näherten sich dem Brand, während Tiscio und Walmo auf Malandros Rückehr warteten. "Wir legen Steine neben die Treppe, wenn wir weg sind", rief Tiscio ihnen nach und Walter nickte ihm über die Schulter zu.

Der Hai war schmal aber nicht all zu voll. Die Explosion hatte die meisten Gäste, deren Verstand noch nicht vollkommen benebelt war, nach draußen gelockt. Zur Linken nahm der Tresen fast die gesamte Seite in Anspruch, hinter dem ein knochiger Barmann stand, der Malandro nur einmal ansah und sich dann wieder seinen Gästen zuwandte. Zur Rechten fanden sich ein paar kleine Sitzecken, nur spärlich besetzt. Weder an der Bar noch in den Ecken konnte er einen Mann mit roter Mütze sehen. Auch auf den Tischen lag keine. Sollte er sie abgenommen und eingesteckt haben, hätte Malandro natürlich keine Möglichkeit mehr, ihn zu erkennen. Und den Leuten in die Taschen zu greifen, erschien ihm keine gute Idee zu sein.
Es gab jedoch eine Tür am Ende der Bar, die in einen hinteren Raum führte, von dem Malandro einen kurzen Blick erhaschen konnte, als ein schwankender Hafenarbeiter sich einen neuen Krug Bier holte. Bevor sich die Tür hinter ihm wieder schloss, sah der Feldstraßler einen runden Tisch mit einer runden Bank, um den mehrere Männer über ihren Gläsern hingen. Und vor einem von ihnen lag eine rote Mütze.

Malandro saß am Tresen und trank ein Bier, als Tiscio hereinkam. Der größere lehnte sich zu ihm hinüber. "Warum bist du nicht rausgekommen?"
Malandro seinerseits lehnte sich zu Tiscio: "Das wär aufgefallen."
Er sah sich kurz um. "Der Mann ist da drin. Sag Unterschnitt Bescheid."
Tiscio nickte.

"Komm Walmo, leg zwei Steine hin. Wir soll'n Unterschnitt holen."
"Hat er den Mützenmann gefunden?"
"Warum soll'n wir sonst Unterschnitt holen." Der Klapps erreichte Walmo nicht mehr. Tiscio fand, es machte keinen Spaß mehr, ihn zu hauen, wenn er immer auswich.
Sie liefen los, fielen aber schnell wieder in ihren normalen, schlappenden Gang. Der Tag hatte an ihnen gezehrt.
Als sie bei Unterschnitt eintrafen, benötigte Soldrang länger als gewöhnlich, um ihnen die Tür zu öffnen. Auch er wirkte erschöpft. Seine Jacke saß ordentlich, als die beiden jedoch den Flur betraten, konnten sie die rotbraunen Flecken auf dem Kragen und dem Hemd erkennen.
"Wir müssen zu Herrn Unterschnitt."
"Herr Unterschnitt ist unabkömmlich."
"Es is' wichtig. Wir haben den Mützenmann gefunden."
"Walmo! Was er meint, Herr Soldrang: ne Bombe is hochgegangen im Hafen und wir haben den Bomber gefunden. Herr Unterschnitt muss ihn festnehmen!"
"Es tut mir leid, aber Herr Unterschnitt kann ihnen nicht helfen. Er erholt sich von seinen Verwundungen."
"Aber er entkommt sonst!"
"Wie gesagt, Herr Canil, es tut mir leid." Er deutete eine Verbeugung an. "Kann ich noch etwas für sie tun?"
Aber Tiscio hatte sich bereits an ihm vorbei gedrängt, um zur Garderobe zu gelangen. Dort hatten sie, sehr zum Missfallen des Buttlers, wie sie wussten, und Herrn Unterschnitts, was sie bisher noch nicht erfahren hatten, die Erfindungen von Gunnars Vater abgelegt. Tiscio hob mit einem Ruck den Schnüffler auf. Walmo und er tauschten Blicke aus und waren schon wieder auf der Straße, bevor sie sich noch verabschieden konnten.

Inzwischen waren die anderen aus der Bar geschmissen worden. Als Gunnar und Walter zurückgekehrt waren, hatten sie die zwei Steine gefunden. Nach kurzem Überlegen hatte Gunnar den großen Feldstraßler durch die Tür geführt und dort Malandro gesehen. Sie hatten sich zu ihm gesellt und versucht, ebenfalls ein Bier zu bestellen. Der Barmann hatte nur Gunnar kurz angeblick und etwas geknurrt. Als die drei nicht reagierten, stellte er sich direkt vor sie und grummelte: "Kinder sind hier nicht erwünscht."
"Hey, ich bin kein Kind." Gunnars Worte waren noch nicht ganz aus seinem Mund, als der Barman bereits antwortete: "Raus, oder muss ich euch an euren Windeln packen?"
Und damit waren sie wieder auf der Straße gewesen. Die Worte des Barmanns und die feindlichen Blicke der benebelten Gäste hatten sie hinaus getrieben.
"Warum seid ihr reingekommen?"
"Die anderen waren weg. Wir wollten nach dir sehen."
"Mein Bier war noch halbvoll."
"Was is' mit Rotmütze?"
"Nich' rausgegangen."
"Und was machen wir jetzt?"
"Hier warten. Aufpassen."
"Vielleicht sollten wir der Metrowacht Bescheid sagen."
"Die Bertis, Gunnar, bist du wahnsinnig?"
"Warum? Da ist ein Bomber drin und wenn sie ihn festnehmen, finden sie vielleicht auch die anderen und dann kann das alles vorbei sein."
Walter und Malandro überlegten kurz, zu Gunnars Überraschung diskutierten sie jedoch nicht weiter. Er hatte nie Probleme mit den Bertis gehabt. Er hatte Respekt vor ihnen, wie wohl alle gesetzestreuen Jungen der Altstadt. Sie waren ihm gegenüber jedoch immer höflich gewesen. Erst in letzter Zeit hatte er sich, wie seine Freunde, vor ihnen in Acht genommen, weil ihre Freizeitbeschäftigungen zu oft am Rande dessen stattfanden, was seine Eltern als Unterschichtenproblem bezeichnet hätten.
Daher konnte er ihre Scheu verstehen, auch wenn es ein wenig seltsam war, dass sie neulich noch auf die Hauptwache gegangen waren, jetzt aber keinen Berti auf der Straße ansprechen wollten. Dann begriff er jedoch, dass im Hafen eben nicht die Bertis der Metrowacht unterwegs waren, sondern die Hafenwacht die Straßen patrouillierte. Sie waren nicht so einschüchternd wie die Tempelwächter, da sie jedoch beständig mit den betrunkenen Seeleuten, fremdländischen Händlern und gnadenlosen Schmugglern zu tun hatten, waren sie ruppiger und rücksichtsloser als ihre Kollegen jenseits des Hafens. Man konnte nicht vorhersagen, wie sie auf ein paar junge Männer reagieren würden, die ihnen verkündeten, den Bombenleger gefunden zu haben.
"Dann find halt einen", nickte Malandro und Gunnar sah sich um. Am Brandherd waren bereits die ersten Wächter eingetroffen, die versuchten, die Zuschauer fernzuhalten und damit der Brandwehr etwas Platz zu verschaffen.
Gunnar musste daher nicht lange suchen. Er rannte zu einem hinüber und seine Haltung verriet den anderen, dass er sich nicht wohl dabei fühlte. Trotzdem kam er wenig später zur Überraschung von Walter und Gunnar mit dem Berti zurück.
"Da drin ist er, Herr Wachtmeister, in dem hinteren Raum."
"Ich werde mir das ansehen. Ihr bleibt hier draußen."
Damit verschwand er im Hai und die Jungs konnten hören, wie drinnen jegliches Gespräch erstarb.
Und dann warteten sie darauf, dass er wieder herauskam. Statt des Bertis erschienen jedoch fünf Minuten später die Männer, die im hinteren Raum gesessen hatten. Sie hatten es eilig. Erneut wurden die Jungs vom Eingang fortgerempelt. Vielleicht hätten sie versuchen sollen, sie aufzuhalten, oder dem Mann zu folgen, nach ihrem Zusammenstoß mit den Marodeuren verspürten sie jedoch kaum den Wunsch, erneut in einen Kampf zu geraten. Stattdessen wagte sich Gunnar noch einmal hinein, ignorierte den Blick des Barmanns und öffnete die Tür zum hinteren Raum. Schon als er die Tür berührte hatte ein ungutes Gefühl, aber er hatte auch den Berti geholt, weswegen er sich bis zu einem gewissen Grad verantwortlich fühlte, für dass, was einem einzelnen Hafenwächter gegen vier Separatisten geschehen konnte. Er hatte sich schon einige schreckliche Dinge ausgemalt. Trotzdem war er nicht darauf vorbereitet, sie zu sehen.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04