Die Brennerbande, Teil 76


Wenig später fanden sie sich auf der Straße wieder. Herr van der Linden nahm den Holzdeckel von dem etwas herunter, dass Tiscio und Walter herausgebracht hatten. Was er als Kiste beschrieben hatte, war in Wirklichkeit eine Art Koffer mit Rollen, drei Meter lang, an der dicksten Stelle vielleicht achtzig Zentimeter hoch. Der Deckel reichte auf allen Seiten fast bis auf die Erde. In der Mitte war der Deckel erhöht, was vermuten ließ, dass er dem Inhalt angepasst war. Gunnar hatte die Kiste schon oft in der Abstellkammer unter dem Gerümpel gesehen. Sie hatte dort gelegen, so lange er sich erinnern konnte. Er hatte seinen Vater nie gefragt, was, die Kiste enthielt und sein Vater hatte es ihm nie gesagt.
Herr van der Linden löste die Klemmen, die den Deckel mit dem Kistenboden verbanden. Das Schnappen ließ Staub auffliegen.
"Gunnar, hol bitte einen Eimer mit Wasser." Anschließend deutete er auf Tiscio und Malandro: "Ihr holt Kohle aus der Werkstatt." Walter und Walmo halfen ihm den Deckel abzunehmen und zurück ins Haus zu bringen.
Was zum Vorschein kam, war ein Berg an Stangen, Röhren, Schläuchen und Zahnrädern, die so aussahen, als hätte man sie ineinander gefaltet oder zusammengesteckt. Die Erhöhung, die den besonderen Deckel erforderlich machte, war eine Dampfmaschine, ein altes Modell, so wie Gunnar es noch nie bei seinem Vater gesehen hatte. Herr van der Linden füllte Beuler und Feuerkammer und benutzte einen Feuerstarter, um die Dampfmaschine in Gang zu bringen.
Während der erste Rauch erschien, erzählte Gunnars Vater: "Ich habe ihn für die Metrowacht gebaut. Leicht zu lagern, sparsam im Verbrauch, aber leider ein wenig ungeschützt." In diesem Moment schien der Druck groß genug zu sein und das Gerät entfaltete sich, bis man eine fast menschliche Gestalt erkennen konnte. Zuletzt schoben sich die Beine auseinander und zwei Arme klappten heraus. Es war ein Rüster, ein simpler, ungeschmückter Rüster, so wie man sie jeden Tag auf den Straßen sehen konnte. Nur dass man für gewöhnlich nicht die Innereien sehen konnte, weil eben eine Rüstung, oder etwas, dass danach aussah, die Maschinerie verdeckte.
Angeblich gab es [Rüster] seit mehreren hundert Jahren. Es hieß, damals hätte Magie das geleistet, was heute die Dampfmaschinen bewerkstelligten. Allerdings verwendeten beide großen Nachbarn des xpochschen Reiches immer noch Magie, um ihre [Rüster] anzutreiben, und wurden daher entsprechend von den örtlichen Priestern mit göttlichen Flüchen belegt. Die Magie war allerdings nicht der einzige Grund, warum die Flüche ausgetauscht wurden. Die Verstümmelten des letzten Grenzkonflikts bettelten immer noch auf der Straße und diejenigen, die auf den Schlachtfeldern den Verstand verloren hatten, füllten die Räume in Schlechtorf.
Aber die [Rüster] waren, neben den Luftschiffen, die bei Paraden den Himmel über Xpoch verdunkelten, die Waffe, die die Ketzer und andere Feinde des Reiches davon abhielten, die braven Bürger zu versklaven und in die Hölle zu ziehen. Auf den Straßen von Xpoch dienten sie jedoch nur der Verkehrskontrolle. Gelegentlich fand man sie allerdings auch an Orten, an denen gewalttätige [Dämonen] unter Kontrolle gebracht werden musste. Denn die gewaltigen, einherschreitenden Dampfmaschinen gewährten nicht nur Schutz, sondern verstärkten auch die Kraft des Mannes, der sich in sie hineinzwängte und ihn kontrollierte.

Nachdem sich der [Rüster] ein wenig beruhigt und die Glieder mit Zittern aufgehört hatten, stieg Gunnars Vater von vorne hinein. Er schnallte sich an und schlüpfte in die Handschuhe an den Armen.
"Gebt mir den Magnetisierer." Als er ihn wie eine Handtasche in der linken Rüsterhand hielt, griff er nach der Keule.
"Steigt auf."

Die Rüster, die man für gewöhnlich in der Altstadt zu sehen bekam, waren entweder die großen, militärischen Panzerrüstungen, oder die Standardgefährte, die die Bertis verwendeten und die von den meisten als Dampfei bezeichnet wurden, da die Kabine, von der aus der [Rüster] gesteuert wurde, tatsächlich aussah wie ein Ei mit einer Dampmaschine am Hinterteil. Das offene Design, das Herr van der Linden gewählt hatte, verleitete daher ein paar Leute dazu, einmal genauer hinzublicken. Letzten Endes kümmerte sich jedoch keiner wirklich darum. Das änderte sich, als sie die innere Stadt verließen. Nach hier draußen kamen die Bertis nur selten mit ihren schwereren Geräten, wobei sie hier vermutlich mehr benötigt würden als in der Altstadt. Immer wenn sie kurz anhalten mussten, damit die Jungs sich einem Augenblick lang ausruhen konnten, wenn das Festhalten an dem hin und her schwingenden Ungetüm zu schwer wurde, sammelten sich Gaffer in gebührendem Abstand um die kleine Gruppe. Ab und zu folgten ihnen auch ein paar Kinder auf ihrem Weg, schließlich war es Sonntag und was gab es schon besseres zu sehen, als einen nackten [Rüster] an dem sich fünf Jungs festhielten.
So gelangten sie zum Rowenberg und zur Lagerhalle, zu der Gerca Winrond Malandro und Tiscio geführt hatte. War sie ihnen im Dunkeln düster und gespenstisch vorgekommen, wirkte sie im trüben Septemberlicht einfach nur baufällig und verlassen.
Ganz offen steuerte der [Rüster] die Tür an, durch die sie auch am Vorabend gekommen war. Als sie daran rüttelten, fanden sie sie mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert. Nach einer kurzen Diskussion klopften sie, erhielten jedoch auch nach längerem Warten keine Antwort.
Kurz überlegten sie, ob sie per Räuberleiter in eines der hohen Fenster blicken könnten, bis Herr van der Linden entschied, dass es einfacher war und auch höher reichen würde, wenn er einen der Jungen hochhob. Walter, schwankte hin und her, während ihn die Metallhände an den Unterschenkeln fassten. Was er in der Halle zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache. Erst als Malandro ihm von unten zurief: "Was ist los? Was siehst du?" fiel ihm wieder ein, dass sie auf seine Antwort warteten.
"Nichts, es ist ratzekahl leergeräumt."

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04