Die Brennerbande, Teil 73


Es war Sonntag und die Feldstraßler konnten sich nur langsam aus ihren Betten herausschälen. Sie waren fußlahm, erschöpft und vor allem deprimiert. Es war Sonntag und eigentlich hätte dies ein freier Tag sein sollen, dessen Freiheiten nur vom Besuch im Tempel eingeschränkt und unterbrochen wurden. Nachdem was jedoch in den letzten Tagen geschehen war, war jedem von ihnen klar, dass sie auch an diesem keine Ruhe finden würden.
Als Malandro diese Worte, "Ruhe finden" dachte, legte sich seine Stirn in Falten. Jetzt klangen seine Gedanken bereits wie die Worte seiner Mutter oder irgendeines anderen alten Knackers. Die Feldstraßler ruhten sich nicht aus, sie hingen ´rum, gingen ihr Revier ab oder unternahmen etwas. Ruhen taten Erwachsene.
Er wurde aus seinem halb-dementen Dämmerzustand gerissen, als Tiscio sich aufstützte und sagte: "Wir müssen mit Vilet reden." Es klang mehr wie ein grunzen als wie klar gesprochene Worte, was Tiscios Freunden verriet, dass er ebenfalls noch nicht richtig wach war.
Nun hörte man auch Walter, Walmo und Gunnar sich regen.
"Was willst du?" Es dauerte ein wenig, bis Tiscio Malandros Frage antwortete.
"Mit Vilet reden."
"Wie willst du denn das machen."
"Vielleicht kann man sie besuchen?"
"Einfach reingehen? Das ist ja ´ne selten beknackte Idee. Solltest noch ´ne runde schlafen."
"Sei doch nicht so ein Hammel. Erst mal fragen."
"Und du meinst, dass wir die uns dann reinlassen?"
"Warum nicht?"
"Wir könnten auch Walde die Geister schicken lassen."
Die anderen sahen Malandro mit einer Mischung aus Entsetzen und Unverständnis an. Es dauerte einen Moment, bis schließlich Walter seine Stimme wiederfand.
"Lass Walde aus dem Spiel."
"Warum nicht? Sind doch alles Vilets Anhänger."
"Weil Walde noch ein kleines Mädchen ist und Geister unnatürlich."
"Aber Weissagen und solche Sachen sind in Ordnung für kleine Mädchen?"
"Was soll das'n jetzt wieder heißen?"
In diesem Moment mischte Walmo sich ein: "Hört auf! Wenn das mit Walde rauskommt, dann sitzt sie gleich neben Vilet."
"Hier wird schon keiner was dagegen ha‘m, ich mein' mit Unterschnitt und so."
Das "und so" bereitete den Feldstraßlern immer noch gewisse Probleme, auch wenn sie sich langsam damit abfinden konnten. Nach dem Ritual mussten sie sich eingestehen, dass die Magie eine gewisse Faszination auf sie ausübte.
"Trotzdem. Wir müssen sie ja nicht noch anstiften."
"Ich find das ´ne große Idee."
"Ich nich‘."
"Ich auch nich‘."
"Ich könnte meine Mutter fragen, ob sie sie besuchen könnte."
"Gar keine so schlechte Idee. Deine Mutter wird vielleicht nicht so herablassend angesehen wie wir am gestrigen Abend." Erneut stockte der Gesprächsfluss, diesmal, weil alle Gunnar irritiert anblicken mussten.
"Hör mal auf, so geschwollen zu schwafeln."
"Wieso geschwollen."
"Wie'n Altstädter halt."
"Aber ich komme doch aus der Altstadt. Tiscio übrigens auch."
"Ne, nicht wirklich. Ich bin immer noch Feldstraßler," sah sich Tiscio genötigt einzuwerfen. Er fürchtete, dass die anderen ihn sonst für verweichlicht halten könnten. "Außerdem geht es doch gar nicht darum."
"Was?"
"Es geht um Vilet, Mann."
"Is' ja gut."
"Was wär'n, wenn wir Walde anzeigen. Dann kommt sie direkt zu Vilet."
"Hast du gestern dein Hirn verwettet, oder was is' mit dir los, Malandro?" Die beiden Ws waren aufgesprungen und lauter geworden.
"Ich mein ja nur, dass wir so ganz sicher an Vilet rankämen."
"Und dich lassen wir in Schlechtorf einliefern. Dann sind alle glücklich, was?"
Malandro hob beschwichtigend die Hände, während die beiden sich über ihm aufbauten. "Grützenidee, seh's ein."
"Das hilft doch gar nichts. Beruhigt euch jetzt aber mal." Die Ws verharrten und auch Malandro stockte. Tiscio flüsterte fast in die Stille hinein: "Fast so geschwollen wie meine Füße," und grinste dazu. Die anderen lachten und entspannten sich.
Als sie sich wieder gesetzt hatten, fuhr Tiscio fort: "Lasst uns doch einfach Walde fragen, ob sie Vilet vielleicht erreichen kann."
"Das wäre," begann Walter und blickte seinen kleineren Bruder an, der nickte, "in Ordnung."
"Wie? Das is' in Ordnung? Was is' aus der Walde geworden, die noch zu klein für sowas is'?"
"Will sie ja gar nich' wegen der Geister fragen."
"Das is' doch reine Spitzfindigkeit." Jetzt war es anscheinend an Malandro, ungehalten zu sein.
"Ich geh sie mal holen," beeilte sich Walmo zu sagen und verließ hastig den Raum, während Tiscio und Malandro sich grimmig anblickten.
Wenig später waren die beiden jüngeren Ws zurück und Walde legte ihren Kopf schief, während sie den Fragen zuhörte.
"Ich kann doch nicht zaubern.“ Sie lächelte ein überlegenes Kinderlächeln während sie den Kopf schüttelte. „Und die Geister kann ich auch nich‘ schicken. Die sind weg, seitdem wir Herrn Unterschnitt Bescheid gesagt haben."
"Wie kommt das denn?" und "Wohin?" riefen die Feldstraßler durcheinander.
"Ich weiß nich. Sie wollten wohl nur, dass Herr Unterschnitt Bescheid weiß."
"Ist das immer so mit Geistern?"
"Woher soll ich das denn wissen." Walde wirkte recht ungnädig. Kinder können offensichtlich dumme Fragen oft schlechter ertragen als Erwachsene. "Das waren doch meine ersten Geister."
"Klar, hast ja Recht, Walde."
"Ist meine Mutter in eurem Zimmer?"
Walde nickte. Als Tiscio ihr jedoch beim Verlassen des Zimmers winkte, setzte sie sich zwischen ihre Brüder und lehnte sich abwechselnd mal an den einen, mal an den anderen.
Wie Walmo vor ihm blieb auch Tiscio nicht lange fort und nickte den anderen zu, als er die Tür hinter sich zuschob. "Meine Mutter macht's."
Es schien, dass ihnen damit erst einmal der Gesprächsstoff ausgegangen war, bis Gunnar nachfragte: "Was machen wir jetzt?"
"Nicht viel. Wir können mal kucken, ob Unterschnitt schon Kargerheim rausgeholt hat."
"Ich meine nur, weil mich eigentlich wundert, warum die Separatisten es gerade auf Vilets Anhänger abgesehen haben."
"Gute Frage. Warum eigentlich?"
"Na, ist doch sonnenklar: Wenn Vilet weg is‘, dann kommt dieser Winterfutzi und friert hier alles ein. Dann sind sie den König los und können ihr dreckiges Land selbst regieren." Malandro war sehr zufrieden mit seiner Erklärung.
"Aber warum hat sich Vilet dann selbst angezeigt und ist nicht geflohen."
Darauf wusste niemand eine Antwort.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04