Die Brennerbande, Teil 47


Tiscios Familie hatte sich inzwischen bei Vilet eingelebt. Selbst nach drei Monaten viel es ihm zwar immer noch schwer, täglich zur Schule zu gehen - die zwei Mal in der Woche, die er früher hatte gehen müssen, waren schon zu viel gewesen - aber es war immer noch besser, als das, was Skimir passiert war. Sie hatten zwar beide keine festen Jobs mehr, aber Tiscio konnte sich wenigstens durch Botengänge über Wasser halten. Skimir war rausgeschmissen worden, nachdem er eine Woche nicht zur Arbeit gekommen war. Unverzeihlich, wenn man bedachte, dass die Arbeitslosen sich täglich vor den Fabriktoren drängten. Aber auch verständlich, denn beim Dachpacken war er abgestürzt und hatte sich sein Bein gebrochen. Vollkommen sinnlos, zumal es nur ein Ulk gewesen war. Tatsächlich hatte er noch Glück im Unglück gehabt, denn sie waren in der Nähe von Kargerheims Wohnung gewesen. Der Dampfarmmann hatte sie, ohne zu fragen, zu einem alten Arzt gebracht, der Skimir das Bein gerichtet hatte. Das Bein war inzwischen wieder gut zusammengewachsen, aber in den Fabriken liefen viele Arbeiter herum, deren verkrüppelten Arme, Hände und Beine Zeugnis von ihrem Willen ablegten, alles zu tun, um ihren Job zu behalten, im Gegensatz zu Skimir, der zwar einen gesunden Körper aber keine Arbeit mehr hatte. Und so dämlich es sich auch anhörte, er hatte jetzt weniger Zeit als früher, denn er war zu einem Mitglied jener Arbeitslosen Masse geworden, die vor den Fabriktoren ausharrten.
Tiscio hingegen hatte einen Jungen am Ende der Straße kennen gelernt, dessen Vater sein Geld damit verdiente, dass er Dinge erfand und die Pläne an die Fabriken verkaufte. Oder so ähnlich. Gunnar, der Junge, war erst 13 und damit natürlich noch viel zu jung, um ein echter Freund sein zu können. Schließlich war Tiscio eigentlich sogar schon zu alt für die Schule, in die er gehen musste. Aber Gunnar erfand selbst Dinge. Momentan saß er an einem Dampfzweirad, obwohl Tiscio sich nicht vorstellen konnte, dass dieses Gestell aus Röhren einem Motor und zwei Rädern jemals von selbst fahren würde. Aber egal ob Gunnar zu jung, oder sein Ding in dem Werkraum kompletter Unsinn war, Gunnar war der einzige Freund in der Zirklergasse, den er hatte und dazu hatte er ihm einen Job als Botenjunge bei seinem Vater besorgt. Und so viel war deshalb für Tiscio klar: obwohl Gunnar nie dort gewohnt hatte, machte es ihn das zu einem Mitglied der Feldstraßenbande. Einfach so, und niemand hatte auch nur ein Wort dazu verloren, was wiederum erstaunlich war, da Malandro Tiscio wirklich übel genommen hatte, dass er einfach so aus der Feldstraße verschwunden war. Es war so unfair. Nicht, dass Malandro es jemals ausgesprochen hatte, aber man konnte es deutlich spüren. Früher hätte Tiscio ihm einfach eine aufs Maul gegeben, aber seitdem er diese Atemsache bei Vilet gelernt hatte, ballte er nur ein paar Mal die Hände zusammen und versuchte es zu vergessen.
Aber jetzt war Sonntag, der freie Tag, der beste Tag. Denn heute musste er nicht einmal bei der Priesterin arbeiten oder für Gunnars Vater Schrott besorgen.
Der einzige Dämpfer war, dass Skimir nicht dabei sein konnte. Da er kein Geld mehr mit nach Hause brachte, erlaubte ihm sein versoffener Vater auch nicht mehr, irgendwelche Sachen zu machen, die Spaß machten.
Daher trennten sich die Wege der Feldstraßler von dem Skimirs nach dem Besuch des Tempels. Allerdings hatten Malandro und Tiscio sich zu etwas verboteneren Freizeitvergnügen verabredet, weswegen er sich ebenfalls von den drei Ws und Alna trennte. Von den zehn Mark, die er von Kargerheim erhalten hatte, waren noch 8 Mark und zwölf Pfennig übrig. Ein vollkommen unnatürlicher Zustand, wenn man bedachte, wie wenig er eigentlich verdiente und wie viel er mit dem Geld schon gespielt hatte. Aber in letzter Zeit hatte er auch erstaunlich viel Glück gehabt.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 03