Die Brennerbande, Teil 45, Einschub 7


"Nun erzählen sie es uns."
"Es gibt nichts zu erzählen. Ich will Tiscio, Frenz, Dori und Erif adoptieren."
Erst sah der Mann ungläubig auf die Frau hinunter, dann begann er zu lachen er. Es war kein freundlicher Laut.
"Sie machen einen Spaß, nich?"
Vilet sah ihn weiter freundlich aber ernst an.
"Und wenn ihre Mutter sie begleiten möchte, kann sie gerne bei mir wohnen. Für sie, mein Herr, würde eine kleine Pension dabei herausspringen, die sie über den Verlust des Geldes ihrer Kinder hinwegtrösten wird."
Bei diesen Worten färbte sich das Gesicht des Vaters schlagartig rot und er kam der kleinen Frau noch ein wenig näher. Sie jedoch zuckte nicht einmal.
"Was haben sie gesagt?"
"Ich denke, sie haben mich verstanden, aber ich wiederhole es gerne noch einmal in einfachen Worten: Sie brauchen ihren Kinder nicht mehr ihr Geld wegnehmen, damit sie sich zu viel Bier kaufen können."
Als er ausholt, bewegte sich Vilet keinen Zoll. Tiscio erstarrte vor Ehrfurcht bei so viel Mut, ihre nächsten Worte ließen ihn jedoch an ihrem Verstand zweifeln.
"Und nur ein Feigling würde Frauen schlagen. Und sie, mein Herr, sind ein Feigling."
Der Schlag erfolgte mit ungeheurer Wucht. Tiscio kannte diese Schläge und sie hatten ihn regelmäßig von den Füßen gefegt. Vilets Kopf dreht sich jedoch nur zur Seite.
Entsetzt sah Tiscios Stiefvater die Frau vor sich an, deren Augen nun dunkel blitzten. Die Wärme im Zimmer floh durch die Ritzen, als der Wind um das Haus blies. Der Frühlingsduft, den man um Vilet herum immer wahrnehmen konnte, verschwand und wurde durch den kalten Hauch des Herbstes ersetzt.
Der Junge machte einen Schritt zurück und bemerkte kaum, das seine Geschwister wie auch seine Mutter es ihm gleich taten. Vilet hingegen wich nicht von ihrem Platz.
"Wollen sie noch einmal zuschlagen? Ich werde nicht weichen." Ihr Blick wurde herausfordernder. "Sehen sie mich an! Ich bin nur eine kleine Frau, die sich um ihre Kinder kümmern will. Es ist nicht meine Art, jemanden zu schlagen, aber ich verspreche ihnen, dass ich sie schlagen werde, wenn sie mich, ihre Frau oder eines ihrer Kinder erneut anfassen." Sie wartete einen Moment auf seine Reaktion, sprach aber schließlich weiter: "Ich habe ihnen ein Angebot gemacht." Und mit diesen Worten kehrte der Frühling zurück.
"Tiscio ist ein wackerer Junge, und ich zweifle nicht daran, dass seine Geschwister ebenfalls klug sind. Geben sie mir die Möglichkeit, für sie zu sorgen. Dann erhalten sie ihr lebe lang Unterhalt."
Und in diesem Moment schlich ein seltsames Lächeln über sein Gesicht. "Ja, geht alle mit dieser Hexe, ich will euch nicht mehr sehen."

Etwas hatte Tiscio die ganze Zeit zurückgehalten. Ob es die Wut in den Augen seines Vaters gewesen war, dessen letzten Worte oder Vilets Standhaftigkeit, er wusste es nicht zu sagen. Noch immer dröhnten die unglaublichen Worte Vilets in seinen Ohren und er konnte nicht glauben, dass sein Vater sie alle, die Zeugen dieser Auseinandersetzung waren, unbehelligt ziehen ließ, zu oft hatte er schon die unglaublichsten Lügen aus seinem Mund gehört.
Er versuchte aus Vilets Miene herauszulesen, was sie von der Antwort hielt, aber dann sah er zum ersten Mal zu seinen Geschwistern hinüber, um in ihren Gesichtern zu lesen. Und dann blickte er zu seiner Mutter.
Sie, die nie viel sagt, die immer nur rumscheuchte, meist wortlos das Essen auf den Tisch stellte und selbst zu müde war, Erif zurechtzuweisen, wenn er mal wieder mit den Fingern aß. Selten, dass er sie lachen gehört hatte, mit einer der anderen Frauen im Haus vielleicht, auf der Treppe.
Tiscio merkte erst jetzt, dass er die Luft angehalten hatte. Langsam atmete er aus und starrte seine Mutter an. Plötzlich wünscht er sich, sie würde ihn und seine Geschwister begleiten. Die Veranwortung für seine drei Geschwister alleine, ohne einen Job kam ihm plötzlich absolut verrückt vor.
Seine Mutter sah ihren Mann nur entsetzt an, dann wandte sie sich zu Vilet: "Du Hexe! Du hast meinen Mann verhext!" Mit diesen giftigen Worten und Tränen in den Augen rannte sie auf die ältere Frau zu. und begann auf sie einzutrommeln.
Der Vater saß währenddessen auf seinem Stuhl. Er begann zu weinen.
Vilet ließ alles über sich ergehen, bis die Mutter in ihren Armen zusammenbrach. Erst in diesem Moment begann sie ruhig, tröstend und liebevoll auf sie einzureden.
Noch nie hatte Tiscio seinen Vater weinen sehen, es war fast so unheimlich wie der Schlag, den Vilet einfach so weggesteckt hatte.
Aber dann fiel ihm ein, dass Dori und Erif, na gut, vielleicht auch Frenz, jetzt ganz allein zwischen seinen Eltern standen und er bemerkte ihre Angst, nicht vor dem Vater sondern vor dem ganzen Geschehenen und dem, was noch geschehen würde. Er macht einen Schritt zu Dori und Erif, griff nach Doris Hand und murmelte leise. „Alles wird gut, ganz bestimmt, glaubt mir.“
"Warum will die Frau dass wir bei ihr wohnen? Was hat sie Papa getan?"
"Nichts hat sie ihm getan, nur die Wahrheit gesagt und das ist er nicht gewohnt. Und sie will, dass wir alle bei ihr wohnen, damit wir‘s besser haben, Mama kann mitkommen."
"Was hat Mama?"
"Mama ist traurig, denn sie muss entscheiden, was sie will. Die Frau, die gekommen ist, bietet ihr an, ohne Papa ein besseres Leben zu haben. Sie heißt Vilet. Und sie würde für uns sorgen. Das ist ganz neu für Mama." Er drückte Doris Hand ganz fest.
"Ich will Mama aber nicht verlassen?"
In diesem Moment mischte sich Frenz ein: "Habt ihr eigentlich alle einen Sockenschuß? Da kommt eine wildfremde Frau und wir sollen mit ihr gehen?"
Tiscio versuchte zuerst Dori zu beruhigen, bevor er sich seinem ungeliebten Bruder zuwandte: "Wenn Vilet Mama alles erklärt hat, dann kommt sie mit uns. Sie will dich doch auch nicht alleine lassen." Dann ließ er die Hand seiner Schwester los und baute sich vor seinem Bruder auf, nicht ganz unähnlich seinem Vater. "Klappe, du kennst sie nicht, ich aber. Und ich sage dir, es ist allemal besser, als die Prügel zu beziehen, die es hier immer gibt. Überleg‘s dir also, denn ich bin auf alle Fälle weg."
"Für dich vielleicht. Du hast sie ja auch angeschleppt. Aber was sollen wir bei ihr?"
"Du kannst in Ruhe zur Schule gehen und wenn du dir einen Job suchst kannst du dein Geld behalten und dir selber ´nen Wecken kaufen und brauchst nicht immer schnorren kommen. Und du musst nicht immer horchen wie die Luft zuhaus‘ ist und den Kopf einziehen, wenn Vater mal wieder besoffen ist. Ich finde, dass das ganz gut klingt."
Für einen Moment war Frenz sprachlos: "Und was ist der Haken?"
Tiscio grinste. "Du musst dich benehmen, schwänzen is nich und fluchen wohl auch nicht."
"Die hat dich voll eingewickelt."
"Wir sinds halt nicht gewohnt, Erwachsenen zu glauben. aber lern sie erst Mal kennen, wirst schon sehen, was sie sagt, das meint sie auch so."
"Die hat DICH verhext, nicht Vater."
"Mann, red nicht so‘n kompletten Schwachsinn!" Und er versetzte Frenz einen Boxhieb an die Schulter. "Dich sollte sie mal verzaubern, vielleicht kommt dann was Gescheiteres bei raus."

Die Kinder aus der Feldstrasse, 02