Die Brennerbande, Teil 37


Unterdessen hatte auch Kargerheim den Inhalt des Sacks betrachtet. Selbst er, der die Fetzen seines eigenen Armes gesehen hatte, erbleichte und taumelte leicht zurück. Gerade noch rechtzeitig dachte er daran, die kleinen hinter sich zu halten. Er leuchtete mit seinem Arm auf die Schatten neben dem Sack und offenbahrte so allen den großen, leeren Tisch, auf dem der Entführer seine grauenvollen Taten vollbracht haben mußte.
"Walmo, nimm die Kinder mit vor den Käfig, bleibt dort und verhaltet euch ganz still. Skimir, hol Tiscio herein und nehmt euch aus dem Müll draußen ein paar Stöcke. Gute, harte Knüppel. Und macht die Tür hinter euch zu. Ich möchte nicht, dass wir überascht werden."
Walmo, der den Schrecken nur aus den Gesichtern der anderen erahnen konnte, gehorchte und zog die Kinder mit sich. Skimir rannte los und kam wenig später mit Tiscio zurück, dessen Blicke schnell den Sack fanden. Kargerheim ergriff ihn mit seiner gesunden Hand und zog so Tiscios Aufmerksamkeit auf sich. Mit leiser Stimme begann er den Jungs einen Plan zu eröffnen. Kein großer Plan, kein ausgeklügeltes Spiel, nur ein paar Anweisungen, wie sie vielleicht das Monster fangen konnten, ohne dass ihnen dabei etwas zustieß.
"Wir werden die Leternen löschen und hier auf die Wachen warten. Ihr verhaltet euch Still. Es wird uns nichts geschehen. Und wenn der Mörder hereinkommt, werde ich ihn niederschlagen." Er blickte in die Runde. "Ist jedem von euch klar, dass ihr still sein müßt?" Alle nickten, auch die kleinen. "Gut, dann drückt euch an die Wand. Walmo, du passt auf die kleinen auf." Seine bestimmten Worte wirkten erstaunlich beruhigend auf die Kinder und Jugendlichen. Er würde bei ihnen stehen und solange er dies tat, konnte ihnen nichts geschehen.
"Kann ich was fragen?" Walmo flüsterte seine Worte mit gesenktem Kopf, so, als wenn er sich nicht trauen würde, den Berti anzublicken.
Kargerheim nickte nur.
"Warum gehen wir nicht? Wir haben die Alna und die anderen. Sonst passiert ihnen noch was. Die Bertis können den doch greifen."
Unter Kargerheims Schnauzbart war die Andeutung eines müden und traurigen Lächelns zu erkennen. Dennoch blieben seine Worte fest: "Punkt eins: jemand muß aufpassen, dass der Mörder nicht hierher kommt und flieht, nachdem er gesehen hat, dass die Kinder geflohen sind. Dieser Jemand muß ich sein. Punkt zwei: ich möchte nicht, dass ihr alleine durch das Ingenfeld lauft, zumal mit den Kindern." Walmo nickte, erneut ohne aufzublicken, dann löschten sie die Laternen. Nur Kargerheim ließ seine Handleuchte weiter brennen, wenn auch abgedunkelt. Skimir hätte gedacht, dass die Kinder in Panik geraten würden, sobald das Licht wieder verschwunden war, aber die letzten Tage hatten sie offensichtlich abgehärtet. Zweifellos hatten sie Angst. Aber irgendetwas war geschehen, weswegen sie sich trotzdem ruhig verhielten.
Während sie in der Dunkelheit warteten, konnte Skimir nicht verhindern, dass seine Gedanken immer wieder zum Sack und seinem Inhalt schweiften. Dass er ihn in der Dunkelheit nicht sehen konnte, ließ das Grauen, das von ihm ausging, nur noch größer werden. Jedes kleine Geräusch schien seinen Ursprung in der Ecke zu nehmen, gleichsam als wenn die blutverschmierten Gliedmaßen zucken und die Därme sich wie Schlangen gegen die zugeschnürte Öffnung drücken würden. Er merkte, wie sich sein Mageninhalt seine Speiseröhre hocharbeitete, konnte aber nichts dagegen tun, zu grauenvoll wanden sich die Bilder um seine Gedanken und pressten jeglichen Mut und Freude aus ihnen heraus.
Plötzlich leuchtete Kargerheims abgedunkelte Handlampe in seine Augen und die Schlangen und krabbelnden Glieder zogen sich zurück. Er sah dem alten Berti in das besorgte Gesicht und nickte ihm zu. Ein Nicken, dass eine Bestätigung sein sollte, aber auch ein Versprechen war. Er würde sich zusammenreißen, nicht durchdrehen und ruhig auf dem Mörder oder die Bertis warten.
Trotzdem konnte er nur unter größten Schwierigkeiten einen Aufschrei unterdrücken, als tatsächlich die Geheimtür geöffnet wurde.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 02