Die Brennerbande, Teil 100


Das Hämmern an der Tür wurde nicht vom Klopfer verursacht, was seine Dringlichkeit nur unterstrich. Walter wurde jedoch erst wach, als er die Schritte Soldrangs auf der Treppe hörte. Er schreckte hoch und blickte sich in dem finsteren Raum um. Es war unmöglich abzuschätzen, wie spät es sein mochte, aber so wie sich Walter fühlte, konnte er nicht lange geschlafen haben. Die anderen rekelten sich am Rande des Schlafs während er sich vorsichtig über und um sie herum schlängelte. Leise öffnete er die Tür und spähte hinunter.

Mehrere Männer standen vor der Tür, Walter konnte sie jedoch nicht erkennen. Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter und er hätte fast laut aufgeschrien. Malandro lehnte sich gegen ihn, um ebenfalls herauszukucken verließ seinen Posten hinter ihm aber schnell wieder und Walter konnte leises Fluchen hören, als er sich zurück zu seinem Platz bewegte, wo er sich anzog.

Die Unruhe im Raum weckte schließlich auch die anderen und flüsternd tauschten sie sich darüber aus, was draußen geschah. Walter blieb zuerst noch an seinem Platz und beobachtete, wie die Männer hereinkamen. Sein Herz machte fast einen Sprung, als er Kargerheim zu erkennen glaubte.

Als Malandro ihn ablöste war auch Unterschnitt im Morgenrock auf dem Gang erschienen. Die Stimmen wurden lauter, drängender, aber die Feldstraßler konnten immer noch nicht verstehen, was vor sich ging.

Sobald alle angezogen waren, gingen die fünf geschlossen die Treppe hinunter. Unterschnitt war wieder in seinem Zimmer verschwunden, aber die Männer standen immer noch im Flur und betrachteten die neu hinzukommenden misstrauisch, bis ihr Anführer ihnen ein "Hallo, Jungs", entgegenrief. Erst in diesem Moment waren sich die Feldstraßler sicher, dass es Herr Kargerheim war, da er sich ihnen zuwandte. Er war dünner, hatte seinen Dampfarm nicht angelegt und sah ausgesprochen schmutzig aus, was er mit den Männern hinter sich teilte. Unter diesen meinten Malandro, Gunnar und Tiscio ein paar von den Männern aus dem Lagerhaus der Ritter wiederzuerkennen, waren sich jedoch nicht sicher.

Tiscio war der erste, der seine Überraschung überwand. "Herr Kargerheim! Ham die Ritter sie freigelassen?" Einer der Männer am Eingang ließ ein kurzes Lachen hören, während Kargerheim den Kopf schüttelte. "Das erkläre ich euch später. Jetzt macht euch bereit. Wir brauchen jeden Mann."

"Was is'n los, Herr Kargerheim? ‘N Anschlag?"

"Noch nicht, aber es gibt Hinweise, dass es einen geben wird."

"Wo?"

"So wie es aussieht, haben sie einen Sprengsatz an die Hetradostei gelegt."

"Vilet", entfuhr es Tiscio und war erstaunt, dass Kargerheim keine Reaktion zeigte. Die Ritter - denn gleichgültig, ob sie einzelne wiedererkannten oder nicht, die Feldstraßler waren sich inzwischen sicher, dass es Ritter waren - blickten jedoch sofort auf den jungen Mann.

"Nich' jetzt, Tis", flüsterte ihm Malandro ins Ohr.

Glücklicherweise erschien in diesem Moment Unterschnitt in seiner Tür. Hinter ihm stand noch Soldrang, der ihm gerade in seine Jacke half.

"Ah, gut. Ihr seid auch da. Ich habe Verwendung für euch." Er deutete auf Tiscio. "Herr Canil, wären sie so freundlich Frau Linnbeth aufzusuchen. Sie soll jeden ihrer Freunde zur Hetradostei bringen, den sie wecken kann." Den Feldstraßlern war nicht ganz klar, warum er sie plötzlich mit Nachnamen anredete, es war aber auch nicht unangenehm. Als nächstes blickte er Gunnar an: "Könnten Sie bitte zur Hauptwacht laufen und den Metrowächtern berichten, auftragen, mich auf dem Tempelplatz zu treffen, junger Herr van der Linden?" Er reichte ihm ein Schreiben, dass während des Ankleidens etwas zerknittert worden war. Ein weiteres hielt er in der anderen Hand und hielt es Malandro hin. "Und als letztes benötige ich etwas von Herrn van der Linden, dem älteren. Und ich glaube, dass es besser ist, wenn nicht Gunnar die Nachricht überbringt." Als die drei zögerten, fügte er hinzu: "Die Zeit drängt." Und zu ihrem Erstaunen machten die Ritter ihnen den Weg frei, als sie hinausstürzten.


Sobald Tiscio bei Linnbeths kleinem Haus angelangt war, hämmerte er gegen die Tür.

Dann wartete er.

Es öffnete jedoch niemand.

Er hämmerte erneut. Dann verwendete der die Klingel.

Als sich immer noch nichts tat, suchte er sich einen Weg um das Haus herum und hämmerte auch gegen Hintertür.

Erst als er erneut nach vorne kam und die Tür ein weiteres Mal malträtierte, schwang sie ein Stück auf und die Waffe, die er am Abend noch bewundert hatte, wurde ihm ins Gesicht gehalten. Es war dunkel, so dass Linnbeth ihn unmöglich erkennen konnte, und Tiscio fragte sich für einen Augenblick, ob er nicht in wenigen Augenblicken eines jener sehr teuren Projektile im Kopf haben würde.

"Äh, ha, ähm, Frau, Frau Linnbeth", stammelte er, "Herr Unterschnitt. Es gibt ‘nen Anschlag. Hetradostei. Herr Unterschnitt will, ich mein er sagt, sie soll'n dahin kom‘n. Mit so vielen anderen, ich mein Freunden."

"Tiscio war's, oder?" Tiscio nickte, obwohl er sicher war, dass sie es kaum sehen können würde, deswegen fügte er schnell ein "ja" hinzu.

"Sag ihm, ich komme. Kann dauern." Tiscio nickte erneut und machte sich auf den Weg zur Hetradostei.


Auch am Haus der van der Lindens dauerte es eine Weile, bis jemand öffnete. Malandro machte zuerst den Fehler, an der Werkstatt zu klopfen, besann sich aber eines besseren, nachdem er länger gewartet hatte, als ihm recht war.

Am eigentlichen Eingang des Hauses musste er nicht so lange warten. Frau van der Linden öffnete mit einem Nachtlicht in der Hand, brauchte aber eine Weile, bis sie Malandro durch ihre verschlafenen Augen erkennen konnte.

"Was ist denn los, Junge?"

"Ich hab ‘ne Nachricht für ihr‘n Mann. Von Herrn Unterschnitt." Frau van der Linden zögerte einen Augenblick, bis sie den zerknitterten Zettel entgegennahm. Dann besann sie sich schließlich ihrer guten Kinderstube und bat Malandro herein.

Nachdem ihr Mann die Nachricht gelesen hatte, zog er sich in aller Eile an und hastete mit Malandro in seine Werkstatt, wo sie gemeinsam eine Kiste freiräumten und auf die Straße rollten. Sie packten noch einen Sack Kohle oben drauf und machten sich auf den Weg.


Gunnar hatte den kürzesten Weg und brauchte gleichzeitig am wenigsten Zeit für seine Botschaft. Er musste zwar warten, bis er an die Reihe kam, dann ging jedoch alles sehr schnell. Der Wachhabende entknüllte den Zettel, las ihn und rief sofort darauf mehrere Bertis heran. Er nickte noch kurz Gunnar und damit war der Junge entlassen. Gunnar lief wieder los und war als erster auf dem Platz vor der Hetradostei.

Er war allein, wenn man von den Tempelwachen und den wenigen Priestern absah, die zwischen den Gebäuden hin und her gingen. Die Priester waren ihm egal, denn sie kümmerten sich um sich selbst, aber die Wachen beäugten ihn misstrauisch.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 05