Die Brennerbande, Teil 01


Ein sonniger Tag in Xpoch bedeutete nur selten, dass man die Sonne auch sehen konnte, es sei denn man genoss die Freiheit der Dächer. Der Smog, der sich in die Straßen senkte, legte sich schon früh morgens als schmierige Schicht auf die Fenster und erlaubte fast nie einen klaren Blick auf den Himmel. Auch auf den Dächern war der Dunst und Rauch der Kamine noch als ein klebriger Nebel zu spüren, wenn man jedoch auf einen der höheren Schornsteine kletterte oder sogar eine der Schienenbahnstationen erklomm, dann konnte man tatsächlich in die Sonne sehen.
Heute war einer dieser schönen Tage. Es war Mai, und Sonntag, was diesen Tag für viele der Einwohner Xpochs automatisch zu einem schönen Tag wurde, hatten doch die Hetradoniden mit der Intervention des Königs diesen Tag der Woche als Festtag gegenüber den Bonzen durchgesetzt, so dass selbst die Einwohner der Neustadt diesen Tag genießen konnten. Die Menschen und Nichtmenschen aus dem Ingenfeld und dem Ingensumpf waren zu arm, um irgendeinen Tag genießen zu können.
Es war ein ständiger Streitpunkt zwischen Ingenfeldern und Neustädtern, ob die Feldstraße zum einen Viertel oder zum anderen gehörte. Und wie bei vielen solchen Disputen, war das Ergebnis, dass sich die Feldstraßler in der unschönen Situation fanden, nicht wirklich irgendwo dazu zugehören, obwohl der Stadtzensus sie eindeutig der Neustadt zuschlug.
Die Feldstrasse lief parallel zur Kurzengasse, wo des Nachts besser gestellte junge Männer und einige Mannweiber politische Theater und unpolitische Varietés besuchten. Die Rückwand der Häuser der nördlichen Straßenseite teilten diese sich jedoch bereits mit den elenden Häusern der Barezzistiege, die man über den abschüssigen Iridisweg erreichte und welche eindeutig zum Ingenfeld gehörte.
Interessanter Weise hätten gerade jene Leute, die die Kurzengasse frequentierten bestätigt, dass die Feldstraße zur Neustadt gehörte, denn niemand von ihnen wäre zu einer Hure ins Ingenfeld gegangen.

Die Kinder der Feldstraße hatten sich wie alle Kinder der ärmeren Viertel in einer Bande zusammen getan, um ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten. Natürlich hätten sie es niemals so ausgedrückt. Sie hätten viel mehr gesagt: "Wir aus'r Fildstraße müss'n zusamminstihn," was wohl ihr Interesse bereits deutlich genug ausdrückte, denn, eingeklempt zwischen der Brennerbande, die die Kinder des Brennerbogens und der zuführenden Strassen vereinte und den unbenannten jugendlichen Schlägertrupps des Ingenfeldes, gab es nur den Schutz in der Gemeinschaft.
Die Feldstraße hatte viele Kinder hervorgebracht. Die meisten davon unerwünscht, liefen sie tagsüber über die Straße und verschwanden Nachts in Kammern, damit die Mütter ihren Geschäften nachgehen konnten. Die älteren arbeiteten Tagsüber in den Fabriken, um bei der Miete zu helfen. Manche wurden zur königlichen Schule getrieben, andere machten sich einen freien Vormittag, wenn sie sicher sein konnten, nicht erwischt zu werden, denn von den Lehrern kümmerte es keinen, ob ein Schüler mehr oder weniger da war. So galt es nur, jedem aus dem Weg zu gehen, der wusste, wer man war.
Die Kinder unter fünf Jahren galten gemeinhin als zu klein selbst für die Fabriken. Meist mussten sie auf sich selbst aufpassen, denn wer nicht arbeitete lag aus dem einen oder anderen Grund im Bett.
Aber obwohl es so viele Kinder in der Feldstraße gab, waren sie doch immer in der Unterzahl, denn was ist eine Strasse gegen einen halben Stadtteil?

Man konnte also verstehen, dass die Feldstraßler ein grimmiger Haufen waren, der keine Rücksicht auf irgendwelche Formen und Nettigkeiten nahmen, wenn ein Kampf ausbrach.

Die Kinder aus der Feldstrasse