Die Verbannten der Feldstrasse, Teil 05


In dem wir erfahren, was Tiscio tatsächlich sagte und wie es Malandro und Gunnar inzwischen ergangen war.

„Das die Kacke am Dampfen ist, haben wir auch gehört“, antwortete Gunnar. „Aber was hat deine Quelle gesagt?“
Tiscio wurde ganz kurz rot, als er daran dachte, was Halshlane zu jener Gelegenheit alles gesagt hatte. Gunnar schien es jedoch nicht zu bemerken.
„Naja, wir hätten halt den Mahlstrom gefunden und jetzt wüsste jeder, wo er ist. Also das, was aus ihm rausgekommen ist, meine ich. Und jetzt will halt jeder das Horn und uns, damit wir es ihnen geben oder helfen, es zu finden. Oder vielleicht auch nur uns umbringen.“
„Wir haben uns schon sowas gedacht. Allerdings bisher nur von den Hügelstätten.“
„Warum gerade die Hügelstätte? Die waren doch … naja … meist nett zu uns.“
„Kol Therond hat es uns erzählt.“
„Kol Therond? Der Botschafter? Der … der …“
„Ja, der Kol Therond, mit dem wir im Ornithopter geflogen sind.“
„Ist der vorbeigekommen?“
„Nicht direkt.“
Hier war es jetzt an Gunnar, Tiscio von ihren Erlebnissen zu erzählen. Da dieses spezielle Kapitel jedoch nichts mit Sex zu tun hatte, war er bereiter, alles zu erläutern.
„Jetzt haben wir drei Zweiräder, aber vor etwas mehr als einem halben Jahr hatte ich erst eins fertigt und arbeitete grade am zweiten. Die Idee war ja immer, dass wir sie zum Teil verkaufen und dann an der Reparatur noch mehr verdienen, und dass wir außerdem welche verleihen. Und das taten wir auch. Ich glaube es war irgendein Feiertag oder einer dieser regelmäßigen freien Tage, die sie hier in Zur machen. Auf jeden Fall mietete sich so ein Typ eines unserer Räder. Naja, halt das einzige, dass wir hatten. Wir dachten uns nichts dabei. Er zahlte im Voraus und nach ein wenig Einführung konnte er auch soweit damit umgehen, dass ich nicht zu sehr daran denken musste, wie kaputt das Rad zurückkommen würde. Vorsichtshalber hat Malandro aber noch einen kleinen Zusatzvertrag abgeschlossen, der ihn dazu verpflichtete, alle Schäden zu bezahlen. Macht Sinn, aber mir wäre das nicht eingefallen. Aber es hat ja einen Grund, dass wir so gut zusammenarbeiten.“
Gunnar warf einen Blick auf das Rad, welches er zuerst gebaut hatte. Es sah deutlich benutzter und älter aus. Außerdem hatte er das, was er bei diesem gelernt hatte, in die anderen einfließen lassen, so dass die drei Räder sich nicht unerheblich im Design unterschieden.
Tiscio folgte Gunnars blick und schien zu begreifen, welches Zweirad dies sein musste.
„Auf jeden Fall machten wir uns erst mal keine Gedanken, bis die Ehefrau von dem Typen bei uns an die Tür klopfte. Das war kein schönes Gespräch, kann ich dir sagen. Natürlich war sie der Meinung, dass wir schuld daran waren, dass ihr Mann noch nicht zurückgekehrt war. Aber was sollten wir tun? Er hatte bezahlt, also machten wir uns noch keine Sorgen. Allerdings brachte sie gleich eine Wächterin mit. Was soll ich sagen? Wir wurden förmlich gezwungen, auf die Suche nach dem Typen zu gehen, wobei ich sicher mehr daran interessiert war, unser Zweirad wiederzubekommen.“ Gunnar holte einmal Luft.
„Tatsächlich ist der Trottel in Richtung der [Zaubererwüste] gefahren. Ich weiß nicht, ob du in letzter Zeit in ihre Nähe gekommen bist, aber die Zurer haben eine seltsame Beziehung zu ihr. Einerseits scheint sie sie unendlich zu faszinieren. Ich meine, ein Ort völligen magischen Chaos, der alle paar Jahre ein paar Schritte mehr deines Landes raubt würde mich vermutlich auch beschäftigen. Und du weißt ja auch, dass sie deswegen diese ganzen seltsamen Magiegesetze haben.“ Gunnar blickte Tiscio kurz an, als würde er eine Bestätigung erwarten, sah aber schon wieder auf das Zweirad, bevor Tis reagieren konnte.
„Andererseits sprechen sie so gut wie nie darüber und versuchen sich eigentlich auch fern von ihr zu halten. Vermutlich wurden wir deswegen auch in die Sache reingezogen, weil wir halt keine Zurer sind, die es vielleicht besser gewusst hätten, als sich ihr zu nähern. Wir machten uns also auf und fanden sogar dort, wo wir ihn nach ein wenig Recherche erwartet hätten, Spuren vom Zweirad. Also wirklich Spuren auf der Erde. Und als wir denen folgten, kamen wir zu einem alten Verlieskomplex, der wohl mal zu einer Festung gehört hatte. Die Wächterin vermutete, dass sie wohl von einem magischen Sturm aus der Wüste zerstört worden war, schon, weil hier lange kein Krieg mehr stattgefunden hatte. Am Ende konnte es uns aber auch Egal sein, was die Festung zerstört hatte. Wichtig war nur, dass jemand unser Zweirad darein geschoben hatte und vermutlich gleich den Typen mit.“ Mit der rechten streichelte der junge Erfinder über eine Stelle der Maschine, wo das Metall etwas mitgenommener aussah.
„Es war fast wie die Festung, wo sie uns die Würmer eingesetzt haben. Also, wie die Festung, wenn das, an was wir uns erinnern, wirklich passiert wäre. Wir sind da rein, hatten einen kurzen Kampf mit irgendwelchen kleinen Wesen, die die [Zaubererwüste] anscheinend ausgespuckt hatte und kamen schließlich zu den Gefängniszellen, wo wir, nicht in dieser Reihenfolge, das Zweirad, den Typen und Kol Therond fanden.“
„Ihr habt den [Hügelstätter] in einem Gefängnis von irgendwelchen Zauberwesen in Zur gefunden während ihr was ganz anderes gesucht habt? Das klingt aber wie ein zu großer Zufall.“
„Habe ich auch schon viel drüber nachgedacht. Du darfst aber nicht vergessen, das da ‘ne Menge Magie mitspielt. Schon, weil Kol durch die [Zaubererwüste] geflohen ist.“
„Er ist was? Für so dämlich hatte ich ihn gar nicht gehalten.“
„Ich glaube, dass er nicht wirklich eine Wahl hatte. Irgendwie haben seine Vorgesetzten rausbekommen, dass wir das Horn doch mitgebracht hatten und dass er sie daher hintergangen haben musste. Bevor sie ihn festnehmen konnten ist er geflohen und hat den einzigen Weg genommen, bei dem er relativ sicher sein konnte, dass sie ihm nicht folgen würden.“
„Wären sie ja auch schön doof. Aber immerhin hat er es durch geschafft.“
„Ja, das trifft es wohl. Aber er hat einen hohen Preis dafür bezahlt. Du musst schon sehr genau hinschauen, um den alten Botschafter in ihm ausmachen zu können.“
Gunnar wartete, ob sein Gast einen unangemessenen Ausspruch anbringen würde, wurde jedoch enttäuscht.
„Sein Körper ist entstellt. Seine Gliedmaßen verkrümmt, geschrumpft oder in die Länge gezogen und sein Gesicht sieht aus, als hätte es jemand durchgeknetet. Ich bin auch nicht sicher, ob nicht sein Verstand mindestens genauso gelitten hat.“
„Ich seid euch aber sicher, dass er es wirklich ist.“
„Vertrau mir, wir haben ihn gründlich befragt. Und jetzt lebt er halt hier und versucht sich nützlich zu machen. Wir versuchen derzeit noch, irgendwo ein Magiebuch herzubekommen, aber die gibt es hier nur auf dem Schwarzmarkt und dafür reichen unsere Finanzen schlicht nicht aus.“
„Ich kann es kaum glauben. Das klingt so unwahrscheinlich. Alleine, dass ihr tatsächlich das Zweirad und den Typen zurückbringen konntet grenzt schon an ein Wunder …“
„Hey, du weißt genau, dass wir inzwischen genug Erfahrung mit so kleinen Abenteuern haben, dass wir durchaus in der Lage sind, Sachen zu finden und wiederzubringen. Außerdem verstand die Wächterin was vom Spurensuchen, was es erleichtert hat.“
„Is‘ gut. Ich meine nur: ich suche ein Jahr lang eine Frühlingskönigin und finde niemanden in ganz Zur und ihr sucht ein paar Tage lang ein verlorenes Zweirad und bring Kol Therond mit zurück.“
„Wenn man es so ausdrückt, klingt es schon ein wenig eigenwillig. Aber ich finde, man kann das nicht wirklich vergleichen.“
Tiscio zuckte nur mit den Schultern. „Und was ist aus dem Typen geworden. Seine Frau war doch bestimmt dankbar, dass ihr ihn zurückgebracht habt.“
„Naja, zurückgebracht schon, aber halt tot. In diesem Zusammenhang war es dann sehr gut, dass die Wächterin dabei war. So wurden wir wenigstens nicht eines Mordes angeklagt oder unser Geschäft geschlossen. Unheimlicher Weise stellte es sich sogar als gar nicht so schlechte Werbung heraus, als sich herumsprach, dass unsere Zweiräder mal eben zur [Zaubererwüste] und wieder zurückfahren können.“
„Das stinkt irgendwie.“
„Zusammen mit dem, was Kol uns gesagt hat fast so sehr wie der Gresgorgraben.“ Und das war schon sehr schlimm, denn in dem Graben, der östlich von der xpochschen Innenstadt entlanglief, sammelte sich das gesamte Abwasser der Stadt.

Die Verbannten der Feldstrasse