Die Brennerbande, Teil 101


Gunnar wartete und wartete. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Aber endlich erschienen Unterschnitt, Kargerheim und eine Gruppe Ritter, die sofort ausschwärmten. Gleichzeitig traten aus den Schatten andere Männer, von denen Gunnar annahm, dass sie ebenfalls zu der neustädter Bande gehörten. Es lief dem jungen Mann eiskalt den Rücken hinunter, als ihm aufging, dass er die ganze Zeit von diesen Schlägern, Schmugglern und Erpressern beobachtet worden war.
"Wie lange stehst du schon hier?" fragte ihn Kargerheim ohne einen Gruß auf ihn zu verschwenden.
"Ich weiß nicht, Herr Kargerheim. Kommt mir wie eine Ewigkeit vor."
Der Einarmige warf einem der Ritter einen Blick zu und der Mann zeigte auf zwei weitere, die ihm zurück zum Eingang der Hetradostei folgten.
Unterdessen ging Unterschnitt zu einer der Tempelwachen und begann auf sie einzureden. Die Ganze Zeit schwang der Wächter seinen Dampfrepeater nonchalant zwischen dem Detektiv und den rauen Kerlen auf seinem Platz hin und her.
Irgendwann war ein Ruf zu hören und Gunnar konnte beobachten, wie der Platz sich leerte. Nur Unterschnitt und Kargerheim blieben dort, wo sie sich gerade befanden. Wenig später stürmten vielleicht vierzig Bertis die Treppen hinauf. Außer zu Paraden sah man nie so viele Metrowächter auf einem Haufen.
Nach einer kurzen Lagebesprechung mit Kargerheim und Unterschnitt schwärmten die Bertis aus. Wenig später trafen auch Malandro und Herr van der Linden, wie auch Tiscio ein.
Tiscio, in Sorge um Vilet, begann sofort mit der Suche an den Wänden des Gefängnisflügels, sehr zum Missfallen der Tempelwächter, die jedoch zu beschäftigt mit den Leuten von der Metrowacht waren, um sich um den Feldstraßler kümmern zu können. Sein Kopf wurde dabei immer wärmer, da er die Dampfleuchte von Gunnars Vater verwendete. Aber selbst mit dieser war es eine mühsame und frustrierende Arbeit.
Dabei verpasste er die Enthüllung einer weiteren von van der Lindens unglaublichen Erfindungen. Auch diese hatte Gunnar noch nie gesehen, obwohl sein Vater sie mehr als einmal erwähnt hatte. Malandro und er halfen dem Erfinder, die Kiste zu öffnen und das Gestell aus Röhren, Schläuchen und Stangen herauszuholen. Anschließend feuerten sie es an. Die Maschine richtete sich auf und ähnelte bald in Form einem vierbeinigen Tier. Sobald es zu schnüffeln begann, war klar, dass es einen Hund darstellen sollte.
Kargerheim zog einen Beutel aus seiner Jacke und reichte ihn Gunnars Vater, der wiederum den Inhalt in eine kleine Kammer der Hundemaschine schüttete. Anschließend legte er einen Schalter um und wies auf die Gebäude der Hetradostei. Sofort machte sich das Gerät auf den Weg, setzte einen Fuß vor den anderen und hielt den Kopf dabei dicht über dem Boden.
Während Gunnar dem Hund mit ein paar Schritten Abstand folgte, fiel ihm sein eigener Beutel ein, in den er die Asche vom Bombenanschlag im Hafen mitgenommen hatte. Vielleicht, wenn sie nichts fanden, könnte der Dampfhund auch danach suchen. Allerdings blieb ihnen vermutlich nicht viel Zeit. Er rannte an seinen beiden Freunden vorbei, rief ihnen noch kurz zu, dass er was holen wollte und sprang die Treppen hinunter. Er konnte nicht sehen, wie sein Vater ihm besorgt aber auch ein wenig stolz nachblickte. Sein Sohn lief!

Gunnar lief nicht die gesamte Strecke. Zum Teil, weil es gerade jetzt ungeschickt war, einem Berti aufzufallen, zum Teil aber auch, weil seine Ausdauer immer noch nicht so gut war, wie die der anderen Feldstraßler.
Als er in die Konditorgasse einbog, bremste er ab, um wieder zu Atem zu kommen. Er wollte Soldrang nicht nur anhächeln, wenn ihm die Tür geöffnet wurde.
Als er sich jedoch der 23a näherte, beschleunigten sich seine Schritte wieder. Zuerst war es nur so ein Gefühl gewesen, dann hatte er den Lichtschein, der auf die Straße fiel, gesehen. Er rannte zum Eingang, die Stufen hinauf durch den offenen Eingang hinein.

Hätte er sich Zeit zum Nachdenken genommen, wäre er vermutlich stehen geblieben, hätte um Hilfe gerufen. So sah er nur die drei Männer, die gerade die Treppe im Haus erstiegen und brüllte sie an. Der hinterste drehte sich sofort um und kam ihm mit einem aufgeklappten Rasiermesser entgegen.
In die Lücke, die so zwischen ihm und dem zweiten Mann auf der Treppe entstanden war, stieß Soldrang, der plötzlich aus dem Küchenaufgang hervortrat. Er schwang das große Metzgerbeil, mit dem bis vor kurzem noch Deera das Fleisch für ihre Herrschaft bearbeitet hatte. Der erste Hieb traf den mittleren Mann im Rücken, was ihn ins Taumeln brachte, der zweite spaltete ihn den Kopf.
Gleichzeitig versagte bei Gunnar der Verstand und er rannte einfach auf den Messerstecher vor sich zu, unterlief mit mehr Glück als Verstand das Messer, dass jener nach ihm schwang und erwischte ihn mit der Schulter am Brustkorb. Der Mann versuchte seinen Sturz mit einem Schritt nach hinten abzufangen, blieb mit dem Fuß an der Stufe hängen und stieß sich im Fallen den Kopf an der Wand.
Gunnar stolperte weiter und ließ seinen Gegner hinter sich zurück, während er sich an Soldrang und der blutüberströmten Leiche vorbeidrängte.
Der letzte Eindringling stand bereits auf der obersten Stufe, beging aber den Fehler, sich nach seinen Kumpanen umzublicken. Dadurch verlor er kostbare Zeit, die Gunnar nutzte, zu ihm aufzuholen und ihn mit seinem gesamten Gewicht anzugehen.
Sie brachen durch die Tür zu dem Zimmer, in dem die Bande die letzten Nächte verbracht hatte. Der Mann brüllte, als Gunnar auf ihn fiel, stieß den Jungen jedoch schnell wieder von sich. Gunnar wurde gegen eine der Liegen geschleudert und blieb einen Moment benommen liegen. Von seiner Position aus konnte er beobachten, wie sein Gegner zuerst noch versuchte, sich aufzurichten, es aber unter Schmerzen aufgab. Dann zückte er etwas, dass Gunnar unschwer als Sprengstoff erkannte, und fischte nach einem Zündholz. Der junge Erfinder rappelte sich auf, um ihn daran zu hindern, die Lunte zu entzünden, war jedoch zu langsam.
Sobald er das Glimmen sah, lief er wieder in den Aufgang, brüllte Soldrang "Eine Bombe!" zu und schleppte sich in das Nebenzimmer. Er riss die Tür auf und blickte in die Schlaftrunkenen Gesichter von Walde, Tiscios Mutter und den beiden Geschwistern. "Schnell, aus dem Fenster!"
Tiscios Mutter war, von ihrem Beschützerinstinkt getrieben, als erste auf den Beinen, und warf das Fenster auf. Walde ging noch etwas unsicher zu ihr, setzte sich gehorsam auf die Fensterbank und sprang aus dem zweiten Stock auf die Abfalltonnen im Hinterhof. Es schepperte und womöglich hatte sich verletzt, aber darauf würde in diesem Moment niemand Rücksicht nehmen.
Ihr folgte Dori, Tiscios Schwester, die sich ein wenig mehr sträubte als Walde, am Ende von ihrer Mutter und Gunnar an je einer Hand gehalten und ein gutes Stück hinabgelassen wurde.
Dann explodierte die Bombe und die beiden am Fenster wurden hinausgeschleudert. Gunnar sürtze unsanft in dem ganzen Müll und landete dabei auf Doris Bein, die vor Schmerzen aufschrie.
Erif hingegen, Tiscios achtjähriger Bruder, schaffte es nicht hinaus.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 05